Warum immer Fußball? Twitter, wir müssen über Diversity reden.

Quelle: Screenshot twitter.com Startseite (ohne Anmeldung)
Quelle: Screenshot twitter.com Startseite (ohne Anmeldung)

Vielfalt? Fehlanzeige bei Twitter. Wo sind die kompeteten Frauen?

Der digitale Status Quo nervt mal wieder. Was mich stört, ist, dass Frauen und andere Menschen, die zufälligerweise nicht männlich sind, im Internet unsichtbar gemacht werden. Und dies trotz der allgemeingültigen Feststellung und Versicherung, dass wir für ein gesellschaftliches Weiterkommen die Vielfalt alle Geschlechter, Ethnien, Perspektiven brauchen.

Ja, auch im 21. Jahrhundert „verstecken“ wir Frauen, zumindest, wenn es nach Twitter geht. Weibliche Nutzerprofile sind gemäß Twitter nicht halb so interessant und wertig, wie männliche.
Dieser Eindruck entsteht zumindest beim Blick auf die Profile, die Twitter vor dem Einloggen hervorhebt und zum Abonnieren vorschlägt.

Unter der Menü-Navigation folgt die Aufforderung, sich neu anzumelden oder in sein bestehendes Profil einzuloggen. Und, nicht zu übersehen:  ganz viele besondere Profile, bei denen Twitter will, dass man sie erkundet.

Hervorgehobene Profile auf der Startseite - Fußball, Fußball, Fußball...

Diese hervorgehobene Profile von Personen des öffentlichen Lebens, Nachrichtenmagazinen, Prominenten und Parteien sind sortiert nach Themengebieten wie News aus Kultur & Gesellschaft, Politik News, Entertainment, eSports & Gaming und weitere Rubriken.

 

Beim erwartungsfreudigen Scrollen überrascht es mich sehr, wie wenig ich mich in den Twitter-Profilvorschlägen wiederfinde. Als Frau, die sich für vieles außerhalb von Mode, Styling und Beauty interessiert, gibt es neben den allgemeinen Nachrichtenformaten wenig Ansprechendes zu sehen. Die Vorschläge beginnen sich thematisch zu wiederholen, wirken gleichgeschaltet, wenig divers. Ich, und sicherlich vielen anderen Frauen wie ich, werden schlicht und ergreifend nicht angesprochen. Noch schlimmer: Unsere Interessen werden auf Beauty, Mode und andere kümmerliche Klischee-Themen reduziert.

 

Was mir hierbei genau auf dem Bildschirm meines Rechners aufgelistet wird, liest sich wie ein schlechter, völlig überzogener Witz: Fußball gleich zwei Mal hintereinander. Die ersten Profile, die Twitter mir vorschlägt, stammen von Vereinen. Danach folgen ein YouTube-Star, Nachrichten, wieder Fußball, die CSU und Beautybloggerin Bibi, die sich über Bilou Torten freut, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Fußball, Bibi und die CSU? Twitter, es tut mir leid es sagen zu müssen: Ich finde mich in euren Vorschlägen absolut nicht wieder!  Aber gut, ich kann mich täuschen, vielleicht war die Auflistung purer Zufall. Ich probierte es mit meinem Smartphone direkt noch einmal aus und steuerte die Startseite von Twitter an. Auf meinem Handy, bei dem ich mich nicht über die App, sondern über den Browser einloggen wollte, präsentierte mir Twitter diese Liste an Profilen:

Unter 17 Männern (die meisten von Beruf Fußballer) und 2 Magazin-Formaten ragt der Name einer einzigen Frau hervor: der von Andrea Berg. Wie bei dem Spiel „Finde den Fehler“, nur dass dies kein Spiel, sondern die Startseite eines weltumspannenden Netzwerks ist.

Andrea Berg - die einsame weibliche Bastion unter Fußballern

Andrea Berg ist eine erfolgreiche Schlagersängerin und – dies wusste ich noch nicht – anscheinend auch ein Twitter-Guru. Oder ein extrem gut vermarktetes Produkt der deutschen Schlager-meets-Pop-Industrie, da bin ich mir nicht so sicher. Immerhin hat sie es als einzige Frau in die Vorschlagsliste geschafft. Andrea Berg ist die einsame Vertreterin meines Geschlechts unter den empfehlenswerten Profilen, ansonsten tauchte kein weiteres weibliches Profil auf. Keine Dame, ob Journalistin, Wissenschaftlerin, twitternde Politikerin, Astronautin, Talkshow-Moderatorin oder IT-Spezialistin, wurde mit ihrer Twitter-Persönlichkeit vom Algorithmus als wertvoll und interessant genug bewertet, um unter den Profilen vorgeschlagen zu werden.
Was mich hierbei ratlos werden lässt, ist das ganz offensichtlich unausgewogene Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Nutzerprofilen. Man(n) sieht doch, dass das ungerecht, unstimmig und alles andere als repräsentativ ist. Oder fällt es niemandem auf, weil wir daran gewöhnt sind, Männer als Kompetenzträger zu sehen? Wenn einem „interessante Profile“ vorgeschlagen werden, und dort erst einmal nur Männer gelistet werden, dann manifestiert dies ein Bild, an das wir uns gewöhnt haben. Frauen sieht man nicht.

Das mag alles purer, unglücklicher Zufall sein, so etwas kommt vor. Dieser unglückliche Zufall wiederholt sich jedoch ständig und mit verschiedenen Endgeräten. Was bleibt, obwohl einem weder körperlich wehgetan wird, ist das versteinernde Gefühl: Meine Interessen als Frau werden auf Belanglosigkeiten ohne gesellschaftliche Relevanz reduziert. Meine Lust auf Vielfalt wird mürbe gemacht, während ich immer wieder mit pink-weißen Schriftzügen in den Vorschaubildern von Beautybloggerinnen konfrontiert werde. Die eindeutige Botschaft: Sieh hin, das ist es, was Frauen machen. Das ist es, was Frauen wollen. So sind Frauen. Was wir sehen, prägt uns, ohne Ausnahme.

Frauen als Belanglosigkeiten - zumindest für Twitter

Der Wert, den der Twitter-Algorithmus für ein Profil definiert, bestimmt das Ranking. Die Anzahl Follower, die erzeugte Reichweite und Retweets sind die Währung im hartumkämpften Geschäft rund um Twitter, bei dem viele Hände nach einem Stück vom Aufmerksamkeitskuchen greifen. Twitter als „Informationenverteilmaschine“ ist die Antwort auf eine Gesellschaft, in der wir uns vor lauter nächsten Optionen immer weniger auf lange Texte und komplexe Inhalte konzentrieren können. In diesem Neztwerk jagt ein Tweet den nächsten und ständig gibt es unter den richtigen Hashtags Neuigkeiten zu allem und jedem. (Sagt eigentlich überhaupt noch irgendjemand Raute?)
Twitter ist ein mächtiges Werkzeug und Twitter nimmt Einfluss auf viele Menschen, international noch mehr als national. Die App fungiert als Tool, das Menschen erlaubt, sich miteinander zu verbinden und sich trotz Androhung von Repressalien über ihr Smartphone zu organisieren. Twitter erlaubt es, sich Gehör zu verschaffen und eine gewaltige Dynamik zu erzeugen. Twitter ist die Plattform Nummer eins, auf der sich Shitstorms zusammenbrauen, um sich dann voller Macht über dem restlichen Internet zu entladen. Twitter als Aufregungsplattform, Twitter als Informationspool, Twitter für die Geschäftsanbahnung, Twitter als heißlaufendes Marketing-Megafon.

Zahlen, Daten, Fakten zu Twitter Nutzung Fakten zum Unternehmen von Twitter.com
Quelle: Screenshot von twitter.com

Über 313 Million unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer lesen, kommentieren, retweeten und twittern weltweit in über 40 unterstützten Sprachen. Und diese vielen, vielfältigen und unterschiedlich gepolten Menschen bekommen beim Einloggen über den Browser von Twitter einen wirklichkeitsfernen Einheitsbrei an hervorgehobenen Profilen vorgeschlagen, der nicht einmal annähernd ihre Lebenswirklichkeit repräsentiert.


Wollen wir belanglosen Einheitsbrei? Wollen wir diese Unausgewogenheit?


Mir ist bewusst, dass mit Geld, Finesse und dem Schmieröl dazwischen das Ranking beeinflusst werden kann. Natürlich gibt es mehr oder minder feine Wege, wie Nutzerinnen und Nutzer, wie Unternehmen, Parteien und Sportvereine ihre Profile pushen können. Kaufen geht immer irgendwie.

 

Darum geht es nicht.

 

Worauf ich hinaus möchte, ist die gesellschaftliche Verantwortung, die ein einflussreiches Unternehmen wie Twitter bei diesem Wahrnehmungsspiel übernehmen muss.
Wenn die Digitalisierung weiblich – oder besser noch: vielfältig – werden soll, dann müssen Frauen im digitalen Raum überhaupt erst gesehen werden können. Frauen und alle anderen Menschen und Interessensgebiete, die derzeit unterrepräsentiert werden, obwohl sie wichtige Vielfalt für unser aller Innovationsprozess bedeuten.

Um herauszufinden, wie Twitter selbst zum Thema Diversity auf der eigenen Plattform steht, habe ich der Presseabteilung unter press@twitter.com eine Mail auf Deutsch und sicherheitshalber auch gleich auf Englisch geschrieben.

Jetzt bin ich gespannt darauf, wie Twitters Antwort ausfällt – sofern ich überhaupt eine Antwort erhalte. We shall see.

Auf bald und lieben Gruß aus der Marketing Madam Schaltzentrale

Lisa

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