Das #DoppelEinhorn Paradoxon

Screenshot von der Webseite www.doppeleinhorn.org
Screenshot von der Webseite www.doppeleinhorn.org

Das #DoppelEinhorn Paradoxon

Vor langer, langer Zeit, lange bevor Digitalisierung in aller Munde war, da gab es im Internet eine Verhaltensempfehlung: die Netiquette.
Wer damals, zu Zeiten der angewandten Netiquette, begann, andere User in Foren und Chatrooms unflätig anzupöbeln, der wurde per Verweis auf die Netiquette zur Raison gerufen. Die Internetgemeinde war überschaubarer; man fühlte sich als echte, sich selbst regulierende Gemeinschaft, die es zu schützen galt. Menschen tauschten sich über die Distanz aus und Idioten wurden von freiwilligen ModeratorInnen und Usern abgemahnt. Die Netiquette war Usus und funktionierte – ohne Big Brother.

Diesen Zeiten trauere ich hinterher. Jetzt ist Hass im Netz der neue Dauerbrenner; ein Thema, das mich ratlos werden lässt. Was tun? Auf UN-Ebene haben im Jahr 2015 die Gaming-Expertinnen Zoë Quinn und Anita Sarkeesian ihre Erfahrungen als Mobbing-Opfer der Gaming-Szene geschildert. Die Handlungsempfehlung, die sie der Politik geben und die mir übel aufstößt, lautet: Regulierung

Im Saarland versucht die deutsche Politik, genauer gesagt das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, mit einem Projekt namens #DoppelEinhorn für mehr Fairness im digitalen Raum zu werben. Die Netiquette als Fabelwesen, Ende Mai an den Start gegangen.

„Das Projekt „#DoppelEinhorn“ wirbt in den sozialen Medien und im öffentlichen Raum für Demokratie und Meinungsfreiheit und setzt gleichzeitig ein Zeichen gegen Hass und Hetze. Träger des Projekts ist der Verein MedienNetzwerk SaarLorLux e.V., welcher somit für die inhaltliche Ausgestaltung der Kampagne verantwortlich ist. Es wird vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ mit einer Summe von 50.450 Euro gefördert. Die Kampagne startete offiziell am 23. Mai 2017.“

Zielgruppe ist laut eigener Angabe „junge und junggebliebene Menschen“.
Für dieses Medienprojekt haben sich die Verantwortlichen ein Maskottchen ausgedacht, das junge Menschen ansprechen soll. Das DoppelEinhorn sieht wie ein mutiertes Einhorn aus, nur mit einem zweiten Horn, wohl auch, um eine Verwechselung mit dem Pummeleinhorn zu vermeiden. Diese knuffige Comicfigur kann bei Hetze und Diskriminierung per Hashtag #DoppelEinhorn gerufen werden und eilt dann zu Hilfe. Im Netz, versteht sich.

Sehen sich ziemlich ähnlich: Links das Pummeinhorn (pummeleinhorn.de), rechts das Doppeleinhorn. Screenshots der Webseiten.
Sehen sich ziemlich ähnlich: Links das Pummeinhorn (pummeleinhorn.de), rechts das Doppeleinhorn. Screenshots der Webseiten.

Kampagne für mehr Miteinander bekommt starken Gegenwind

Gar nicht doof, dachte ich mir und betrachtete das Ganze durch meine Marketing-Brille: Ein Maskottchen ist wirksamer als ein gesichtsloses Logo. Dazu noch ein niedliches Trend-Tierchen, das knackige Sprüche à la „Hass macht hässlich“ von sich gibt. Das Kampagnenziel (für mehr Fairness im Netz werben) ist positiv; Twitter-Facebook-ready gestrickt, einfach weiterzuverbreiten. Das #DoppelEinhorn sah auf den ersten Blick werbewirksam, leicht umzusetzen und zielgruppengerecht gemacht aus. Ich war neugierig geworden und recherchierte weiter und wurde überrascht: Sehr viele Negativ-Kommentare und Bewertungen bei Twitter und auf Facebook.

„Meinungsfreiheit durch Abschaffung der Meinungsfreiheit? Tickt ihr nicht mehr ganz sauber?“


„Ein Schwuckele-Einhorn, welche mit sehr hohe Investition von 60.000 Euro zu Witzfigur gemacht wurde.“


„Dieses steuergemästete Projekt illustriert auf unmissverständliche Weise, wie der politisch-mediale Komplex und die herrschende Klasse die Bürger tatsächlich sehen, nämlich als zurückgebliebene Kleinkinder, die der beständigen Erziehung durch den allmächtigen Staat und die Medien bedürfen.“


Im politischen Magazin Cicero hatte sich der Ressortleiter Salon, Alexander Kissler, bereits am #DoppelEinhorn abgearbeitet. In seinem schmissigen Beitrag unterstellte er „Kommandopolitik im Kleid des Kindischen“, und meinte klar identifiziert zu haben, dass es eine versteckte Agenda hinter der Kampagne geben muss: „Tatsächlich will man unliebsame oder radikale Meinungen aus dem Diskurs aussondern.“ Und: „Die Kampagne ist Teil eines Menschenverbesserungsversuches. Der Staat will bessere Menschen.“

Harte Worte.

Die meisten KritikerInnen schienen sich an folgendem DoppelEinhorn-Spruch ganz besonders zu stören: „Es heißt Grundrecht auf Meinungsfreiheit – nicht Grundrecht auf Scheißelabern.“ 

Kritik an dieser Aussage ist absolut berechtigt! Ja, auch das Labern von gequirltem Dünnpfiff fällt unter Meinungsfreiheit. Eine Demokratie muss gegensätzliche Meinungen aushalten können und darf natürlich niemanden mundtot machen. Jetzt wurde es für mich spannend: Will das DoppelEinhorn das überhaupt? Will es Meinungen zensieren? War das, was Cicero und die anderen kritischen Stimmen der Kampagne mit einer für mich beeindruckenden Gewissheit unterstellten, überhaupt gerechtfertigt? Mit welcher Vehemenz der Kampagne Zensurversuche und eine Infantilisierung der Gesellschaft vorgeworfen wurde, überraschte mich sehr.

Es klang schwammig, was das DoppelEinhorn unternehmen würde, wenn es per Hashtag zu Hilfe gerufen werden würde: „Solltest du einen Hasskommentar im Netz lesen, kannst du den Hashtag #DoppelEinhorn unter dem Kommentar einfügen und das Fabelwesen wird sich einmischen und dir helfen. Denn wenn Menschen im Netz diskriminiert oder beleidigt werden und dadurch ihre persönliche Ehre verletzt wird, ist es wichtig solchen Äußerungen aktiv das Doppelhorn zu zeigen.“

Und genau hierher rührte die Skepsis der kritischen, sorgenvollen und teils wütenden Menschen, die dem DoppelEinhorn böse Infantilisierung mündiger BürgerInnen unterstellten. Das DoppelEinhorn ließ schlichtweg nicht erkennen, wie es sich „einmischen“ würde.

Ich war verunsichert und der Verdacht eines langsamen Anpirschens an künftige staatliche Zensur stellte sich ein. Diese vagen Aussagen auf der Projektwebseite, sie war das eigentliche Problem. Ich hatte definitiv noch Fragen und hakte per E-Mail nach.

Das erste, was passierte, war, dass meine Mail zurückkam. Gebounced, irgendein Überlastungsproblem auf der Seite des DoppelEinhorns. Dann eben per Facebook.

Ich wartete. Nach dem Wochenende erhielt ich diese Antwort:
"Das DoppelEinhorn hat sich zum Ziel gesetzt, für einen auf Respekt und Höflichkeit basierenden Meinungsaustausch zu werben. Es agiert politisch unabhängig und setzt sich für Meinungsfreiheit ein. Das DoppelEinhorn bewertet Meinungen grundsätzlich nicht, es wünscht sich jedoch, dass Regeln der Höflichkeit nicht nur in der realen Welt, sondern auch im Netz bewahrt bleiben. Die Anonymität des Internets darf nicht missbraucht werden, um Menschen zu diffamieren, ganz besonders, wenn junge Menschen betroffen sind. Die negativen Stimmen sogenannter „Hater“ sind oftmals lauter als die der Fürsprecher, deswegen möchte sich an dieser Stelle das DoppelEinhorn einmischen. Das Wesen kann Hass und Hetze aushalten während einen jungen Menschen beleidigende oder diskriminierende Angriffe mehr verletzen würden. Dies möchte das DoppelEinhorn verhindern."

Trotz der schönen Worte war mir immer noch nicht ersichtlich, was genau das Fabelwesen unternehmen würde, sollte es per Hashtag gerufen werden. Eine weitere Mail ans MedienNetzwerk SaarLorLux e.V. Die Sorge der Menschen, die sich in wütenden Kommentaren und Bewertungen zeigte, lag an der Schwammigkeit der Formulierung. Ich wollte es genau wissen.

Auftrag klären: Was will das #DoppelEinhorn? Wie wird es sich einmischen?

Wenige Minuten später klingelte mein Telefon. Ein Projektverantwortlicher nahm sich Zeit, mir zu erklären, dass das Ziel lediglich sei, Menschen dahingehend zu sensibilisieren, mehr aufeinander im Netz zu achten. Natürlich wolle man keine Meinung zensieren oder gar mundtot machen. Man wäre in Saarbrücken selbst ganz überrascht von der intensiven Negativ-Reaktion in den Sozialen Netzwerken, damit habe man nicht gerechnet. Beim steuerfinanzierten Projektbudget von etwas mehr als 50.000 Euro, was – als Marketingfachfrau gesprochen – keine große Summe für ein Medienprojekt ist, bliebe auch gar keine Kapazität, bestimmte User zu zensieren. Man habe unterschätzt, dass das gut gemeinte Mitmachprojekt einen derart heftigen Gegenwind bekommen würde. Zensur oder die Vorbereitung von Zensur war nie Ziel und Zweck der Kampagne, dies betonte der Saarländer ausdrücklich.


Mein Fazit nach dem Telefonat: Ich glaube den Projektverantwortlichen.
Ich habe mich in persönlicher Korrespondenz überzeugen lassen, dass das DoppelEinhorn eine gute Sache ist, oder zumindest einen positiven Auftrag hat. Mir tut die Politik ein bisschen leid, was selten vorkommt. Irgendwie kann sie auch nichts richtig machen. Auf der einen Seite treibt „Mobbing im Netz“ Jugendliche in den Selbstmord, auf der anderen Seite bekommt eine Kampagne, die sich gegen eben dieses Mobbing einsetzt, sofort den Vorwurf an den doppelgehörnten Kopf geworfen, sie würde Zensur durch die Hintertür einführen.

Einerseits wünschen wir uns Politik, die das, was im Alltag der Menschen passiert, aufgreift und sich den echten Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger annimmt. Und andererseits verachten wir die - oft hemdsärmeligen - Versuche, eben dies zu tun. Paradox!

Ich sehe ein Maskottchen, das helfen soll, eine digitale Fairness-Kampagne bei einer jungen Zielgruppe zu verbreiten und zu verankern. Andere Menschen haben ihre Perspektive und sehen schlimme staatliche Infantilisierungsversuche mit peinlichen Comicbildern. Stasi 2.0. Erwachsenenverdummung. Und das mit unseren Steuergeldern. Hauptsache Empörung!

Was ich erschreckend finde, ist das unmittelbare, reflexartige und überzogene Verteufeln einer kleinen, unterfinanzierten Sensibilisierungskampagne aus dem Saarland. Der Verfasser des Cicero-Beitrags scheint sich nicht mit den Projektverantwortlichen auseinandergesetzt zu haben, die wütenden Kommentierenden im Internet auch nicht. Müssen sie auch nicht. Hassen und Schlechtmachen ist leichter, wenn man seine eigenen Vorurteile und nicht gestützten Annahmen weiterreiten kann, ohne sich mit weiterführenden Informationen und Auskünften zu belasten. Es hasst sich einfach einfacher, ist allerdings auch ganz schön stumpf.

Fehlende Klarheit führt zu Skepsis und Ablehnung - Fragen hilft

Was lässt sich aus der ganzen Sache lernen?

1.    Klarheit: Sag genau, was du meinst. Eier‘ nicht herum wie die Projektverantwortlichen auf der DoppelEinhorn-Webseite. Informationslücken entstehen durch Unklarheit, die sich dann mit Mutmaßungen und nicht gestützten Annahmen füllen, mit Sorge, Zweifel, Angst, Ablehnung und Hass. Also lieber gleich klar sagen, was gemeint ist.

2.    Fragen hilft. Wenn es eine Möglichkeit gibt, seine eigene Skepsis zu adressieren, dann ist es sinnig, dies zu tun. Wer nicht nachhakt, verschenkt die Möglichkeit, zu wachsen, seinen Blick über die eigenen Vorannahmen erheben. Das ist unbequem, insbesondere, wenn wir einer Sache sicher ist; eventuell mag man nicht, was man erkennt. Oder alles wird noch komplexer. Und ja, gleichzeitig ist fragen und zuhören so viel lohnender, als in seinen alten Gedankensträngen hängenzubleiben.

3.    Lektion für die Politik: Im Jahre 2017 misstrauen viele Menschen in Deutschland der Politik und dem, was sie bringt, so sehr, dass selbst ein gut gemeintes Projekt unter Generalverdacht gestellt wird. Liebe PolitikerInnen, bitte handelt so, dass wir euch vertrauen können. Wahlversprechen halten wäre eine tolle, vertrauensbildende Maßnahme!


Dem Projekt DoppelEinhorn wünsche ich alles Gute.

 

Die Menschen, die es in Saarbrücken betreuen, wirkten im persönlichen Telefonat aufrichtig und schlichtweg überrumpelt von der entstandenen Dynamik. Sicherlich kann das DoppelEinhorn nach wie vor ein perfider Versuch sein, uns mündigen BürgerInnen einen digitalen Maulkorb zu verpassen, klar, doch davon kann ich beim besten Willen nichts erkennen. Also, Holzauge bleib wachsam, Skepsis da, wo Skepsis angebracht ist. Hier ist sie überzogen.

Lieben Gruß

Lisa Ringen
Marketing Madam

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Kommentare: 2
  • #1

    Mars Affe (Montag, 19 Juni 2017 18:19)

    Entschuldigung, aber haben Sie den Auftritt von Sarkeesian und Quinn bei der UN gesehen? Dort wurde sich beschwert, dass die Damen als Scharlatane ("You're a liar") und wenig eloquent ("You suck") bezeichnet wurden, nachdem Sie als Galionsfiguren einer geplanten Attacke gegen Videospieler und ihre Subkultur enttarnt worden waren. Wenn ich in eine Gruppe eindränge, alle Mitglieder als Sexisten , Rassisten und schlechte Menschen bezeichnete und forderte, alle müssten fortan nach meinen Regeln spielen, würde mir das Selbe widerfahren.

    Vor allem, wenn ich nicht bereit wäre, mit den moderaten Kräften in der Gruppe auch nur zu sprechen. Ganz abgesehen davon, dass selbst das FBI keinerlei Zusammenhang zwischen erfolgten Drohungen und Unterstützern des Hashtags #GamerGate finden konnte, würde ich mir wünschen, dass recherchiert wird, bevor man den Gamer-Buhmann aus der Kiste holt, der tausendfach widerlegt ist.

  • #2

    Lisa Ringen - Marketing Madam (Dienstag, 20 Juni 2017 08:57)

    Hallo Mars Affe,
    dafür brauchen Sie sich doch nicht entschuldigen!
    Ich freue mich, dass Sie kommentieren.

    Ich schreibe in diesem Blogartikel: "Auf UN-Ebene haben im Jahr 2015 die Gaming-Expertinnen Zoë Quinn und Anita Sarkeesian ihre Erfahrungen als Mobbing-Opfer der Gaming-Szene geschildert. Die Handlungsempfehlung, die sie der Politik geben und die mir übel aufstößt, lautet: Regulierung"
    Vielleicht haben Sie überlesen, dass mir diese Handlungsempfehlung ÜBEL aufstößt?

    Welche Idee haben Sie zu diesem Thema? Mich lässt es leider sehr ratlos werden.

    Danke und Gruß
    Lisa Ringen